Aufgabe 23
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23. Familienbande

Einer Deiner beiden erwachsenen Sims trifft durch Zufall seinen verschollenen Bruder oder seine Schwester wieder. Diese(r) zieht vorübergehend bei Deiner Familie ein (ohne Geld mit in die Familie zu bringen) und sorgt für viel Wirbel.


"Warum ist er hier? Warum wurde er operiert, Dr. Quinn? Sagen Sie es mir! Bitte!" Ich schaue sie flehend an. Ich muss wissen, was Darek fehlt und ich hoffe, dass sie es mir erzählt. Ich bin schließlich sein Ehemann, auch wenn mir uns scheiden lassen wollen. Ich habe ein Recht zu wissen, was los ist.
 

Ihr Blickt sagt eigentlich schon alles, noch bevor sie zu sprechen beginnt. "Dariusz hat Krebs, Herr Brodlowski. Er ist mit Magenbeschwerden zu mir gekommen. Der Ultraschall sah schon nicht gut aus und die Blutuntersuchung hatte die Diagnose bestätigt. Ich habe sofort eine Operation angesetzt, aber...aber wir konnten nicht viel machen. Wir haben ihn nur aufgemacht und gleich wieder zugenäht. Sein ganzer Darm ist voller Geschwüre. Im Grunde müsste er komplett entfernt werden. Und auch die anderen Organe sahen nicht gut aus. Wir können nicht mehr viel für ihn tun."
 

"Was...was heißt 'nicht mehr viel'?" Meine Stimme versagt fast bei der Frage und Übelkeit steigt in mir auf. "Wir werden es mit einer Chemotherapie und Bestrahlung versuchen. Aber aus meiner Sicht wird das sein Leben höchstens noch eine Weile verlängern. Es tut mir leid, Herr Brodlowski." Meine Augen füllen sich mit Tränen und meine Knie werden immer weicher. "Wie lange? Wie lange noch?", frage ich mit zittriger Stimme. "Mit der richtigen Behandlung vielleicht noch ein paar Monate. Es könnten aber auch nur noch ein paar Wochen sein. Es tut mir wirklich leid."
 

"Wann kann ich zu ihm?" "Er wird erst in ein bis zwei Stunden aufwachen", antwortet sie. "Sie können hier draußen warten. Sobald er aufgewacht ist, sage ich Ihnen Bescheid." Sie lächelt mir aufmunternd zu und widmet sich dann ihrem nächsten Patienten. Kaum ist sie hinter der nächsten Ecke verschwunden, bricht der letzte Anschein von Stärke, den ich noch aufbringen konnte weg und ich sacke zusammen. Darek wird sterben!
 

Ich weiß nicht, wie lange ich so vor der Tür gehockt habe. Erst als die Schwester mich kräftig an meiner Schulter schüttelt, nehme ich die Welt um mich herum wieder wahr. "Er wacht langsam auf, Herr Brodlowski", erklärt sie ruhig und schaut dabei mitfühlend in meine verquollenen Augen. "Sie können jetzt zu ihm." Das muss sie mir kein zweites Mal sagen. Ich raffe mich auf und betrete das Krankenzimmer. Doch als ich Darek so daliegen sehe, möchte ich am liebsten gleich wieder weglaufen. Nur mit Mühe schaffe ich es zu dem Stuhl an seiner Seite. Er liegt so hilflos in diesem Bett, so blass, so schwach. Zuerst denke ich, dass er immer noch fest schläft, doch dann sehe ich, wie er gelegentlich müde die Augenlieder hebt und dann sofort wieder einnickt.
 

Er blickt in meine Richtung und sieht mich mit müden Augen an. Es scheint, als ob er nicht richtig realisieren würde, dass ich neben ihm sitze. Doch da irre ich mich. "Arek", flüstert er mit kaum wahrnehmbarer Stimme. Diese Worte scheinen ihm seine ganze Kraft geraubt zu haben, denn seine Augenlieder klappen herunter und er schläft wieder ein. Es dauert einige Minuten bis er sie erneut öffnet und mich wortlos anschaut. Ich kann nicht anders, als in eine andere Richtung zu blicken, denn sonst würde ich jede Sekunde in Tränen ausbrechen und das kann ich mir nicht erlauben. Ich muss stark sein. Für ihn stark sein.
 

Ich bin richtig erleichtert, als Dr. Quinn den Raum betritt und mich bittet hinauszugehen. Oder hat sie mich gar nicht gebeten? Das spielt auch keine Rolle. Ich muss einfach aus diesem Zimmer raus, raus und meine wirren Gedanken in geordnete Bahnen lenken.
 

Eigentlich will ich nur für einen Augenblick an die frische Luft. Doch als ich draußen bin, beginne ich zu laufen. Einfach geradeaus, ohne ein festes Ziel, so als ob ich auf diese Weise vor all den Problemen, die plötzlich über mich hereingebrochen sind, weglaufen könnte.
 

Doch das kann ich nicht. Ganz im Gegenteil. Mit jedem Schritt, den ich weiter laufe wird mir mehr und mehr bewusst, was ich Darek alles angetan habe. Ich habe ihn betrogen und hintergangen. Und was das Schlimmste ist, ich habe ihn erniedrigt. Zum ersten Mal wird mir klar, dass ich ihn wie ein Stück Dreck behandelt habe, genauso, wie damals Sylvia. Doch sie hat es nur ein paar Wochen erduldet. Darek dagegen fast zwanzig Jahre lang.
 

Ich laufe immer weiter, doch irgendwann sinke ich erschöpft zu Boden. "Er muss mich wirklich über alles Lieben!", schießt es mir durch den Kopf. "Wieso sonst hätte er das alles ertragen sollen?"
 

Als ich wieder das Krankenzimmer betrete, ist Darek endgültig aufgewacht. Er sieht mich kurz an und starrt dann einfach nur vor sich hin. "Hat Dr. Quinn schon mit dir gesprochen?", frage ich und habe Mühe damit, dass meine Stimme sich nicht überschlägt. Ein Nicken ist die einzige Antwort, die ich erhalte.
 

Ich setze mich zu ihm ans Bett. Eine Weile herrscht Stille, bis ich es nicht mehr ertrage. "Warum hast du mir nichts gesagt, Darek? Warum hast du mir nicht gesagt, dass es dir so schlecht geht. Warum hast du mir nicht gesagt, dass du operiert werden musst? Du hättest es mir sagen müssen! Warum hast du es nicht getan?" Ich hatte nicht beabsichtigt ihm einen Vorwurf zu machen, doch wenigsten wendet Darek endlich seinen Blick in meine Richtung. "Du weißt genau, warum ich es nicht getan habe, Arek". Ich unterdrücke die aufsteigenden Tränen und nicke mit gesenktem Kopf. "Es tut mir so leid, Darek. Es tut mir alles so schrecklich leid."
 

Plötzlich legt Darek seine Arme um mich und beginnt zu schluchzen. "Ich will nicht sterben, Arek! Ich will nicht sterben." Sein ganzer Körper beginnt zu zittern und einem Heulkrampf folgt der nächste. In diesem Moment fühle ich mich so hilflos. Und obwohl auch mir die Tränen über die Wangen laufen, muss ich stark bleiben. "Du wirst nicht sterben, Darek", versuche ich ihn zu beruhigen. "Die Ärzte werden alles tun, um dich wieder gesund zu machen. Du wirst es schon sehen." Wir beide wissen, dass er nicht wieder gesund werden wird. Aber manchmal ist Selbstbetrug die einzige Möglichkeit, die Wahrheit zu ertragen.
 

"Ich liebe dich Arek!", haucht er mir ins Ohr. Dann löst er die Umarmung und blickt mit seinem tränenüberströmten Gesicht in meine ebenfalls feuchten Augen. "Ich liebe dich so sehr." sanft streichle ich mit meinem Handrücken seine Wange und er ergreift meine Hand. "Arek, mit Lex, da war nie etwas und Arne ist nur..."
 

"Schhhh", unterbreche ich ihn und lege meinen Finger auf seine Lippen. "Es ist okay, Darek. Du musst mir nichts erklären. Gerade mir nicht. Es ist schon okay. Ich liebe dich doch auch. Das habe ich doch immer. Nur richtig zeigen konnte ich es nicht." Und dann berühren meine Lippen seine. Es ist so, als ob ich ihn zum ersten Mal in meinem Leben küsste und gleichzeitig so, als würde ich diesen Kuss schon ein Leben lang kennen. Und ich wünschte, er würde ewig anhalten.
 

Und dann reden wir. Wir sprechen aus, was wir fühlen, was wir denken, was wir vom anderen erwarten. Und endlich gebe ich meine Fehler zu. Jeden einzelnen ohne irgendwelche Ausreden. Wir merken gar nicht, dass es draußen wieder hell wird. Erst ein Klopfen unterbricht uns. Es ist Arne, der angelehnt im Türrahmen steht und Darek freundlich anlächelt.
 

Ich kann Dareks Gesicht deutlich das Dilemma anmerken, indem er sich befindet, also mache ich es ihm so leicht wie möglich. "Ich gehe kurz raus und hole mir einen Kaffee." Beim Aufstehen lächle ich Darek aufmunternd zu. Dann lasse ich die beiden allein.
 

Den Kaffee kann ich auch gut gebrauchen, denn langsam merke ich, dass ich Schlaf dringend nötig hätte. Es ist noch ganz still im Krankenhaus und durch die Scheiben der Wartehalle kann ich die aufgehende Sonne betrachten. Es ist wirklich ein schöner Morgen. Als Arne aufgetaucht ist, habe ich endgültig gespürt, das Darek zu mir gehört. Noch vor zwei Tagen wäre ich Arne wütend an den Hals gesprungen, aber jetzt hat sich alles geändert.
 

 

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kor. 13.02.2011