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"Niemand nennt mich verrückt!", brüllt sie
und plötzlich hält sie eine Waffe in der Hand, die sie
auf mich richtet. Ich komme nicht einmal dazu, den Versuch zu
starten sie zu beruhigen.
Ein Schuss!
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Alles Weitere geschieht wie in Zeitlupe. Es stimmt, wenn man dem
Tod ins Auge blickt, dann läuft das gesamte Leben noch einmal
vor dem inneren Auge ab. Schade, dass mein Leben so früh
enden muss.
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Plötzlich bemerke ich aus dem Augenwinkel, wie etwas Weißes
sich vor mich wirft. Dann nehme ich wie aus weiter Ferne einen
Schrei war, einen furchtbaren Schrei…Joannas Schrei! Ihr
lebloser Körper fällt direkt vor mir auf den Boden und
ihr weißes Kleid beginnt sich blutrot zu tränken. Kraftlos
blicke ich meine Mutter an, die immer noch die Waffe auf mich
gerichtet hält. Und dann ein zweiter Schuss!
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Ich schließe die Augen und warte auf den Schmerz, doch auch
diesmal kommt er nicht. Als ich sie öffne sehe ich meine
Mutter. Ihre Augen sind weit aufgerissen und ihr Gesicht ist krampfhaft
verzerrt. "Was!?", ist das letzte Wort, das sie röchelt,
bevor sie vornüber zusammenbricht und ungebremst auf den
Boden prallt.
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Hinter ihr erkenn ich meinen Vater mit einer Pistole in der Hand.
"Es tut mir leid", flüstert er. Dann hält
er sich die Waffe an die Schläfe und drückt ab. Ich
werde niemals erfahren ob er mit diesen Worten meine Mutter oder
mich meinte.
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Dann geben meine Knie nach und ich sinke kraftlos auf den Teppich.
Ohne darüber nachzudenken, beginne ich Joannas Haar zu streicheln.
Und da bricht alles aus mir heraus. Die ganze Wut, der Schmerz.
Ich lasse alles heraus und weine. Und immer wieder streichle ich
das Haar meiner kleinen Tochter.
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Plötzlich greift jemand nach meiner Hand und ich zucke erschrocken
zusammen. Es ist Joannas Hand, die meine fest umschlossen hält
und dann öffnet sie ihre schönen grauen Augen. "Dad?",
flüstert sie benommen. Es ist unvorstellbar. Joanna lebt.
Ich bin einfach nur überglücklich und schmiege meine
Tochter an mich. In diesem Moment denke ich nicht daran, dass
ich ihr mit dieser Umarmung wehtun könnte.
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Daran erinnert sie mich selbst. Sie löst sich aus meiner
Umarmung und richtet sich dann mühevoll auf. Ihr Gesicht
ist schmerzverzerrt, aber sie steht und drückt ihre Hände
auf die Wunde an ihrem Bauch. Dann erst sieht sie, dass meine
Eltern tot am Boden liegen. Ewa ist bei ihnen. Doch beide haben
keinen Puls mehr. Für sie kommt jede Rettung zu spät
und noch ein Wunder wird es nicht geben. Ewa zieht sich in eine
Ecke des Raumes zurück und starrt die leblosen Körper
unserer Eltern an und schüttelt immer wieder weinend den
Kopf. Das hat sie nicht gewollt. Das nicht!
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Es ist Joanna, die in dieser Situation einen kühlen Kopf
bewahrt und plötzlich die Führung übernimmt. "Wir
müssen ihre Leichen hier wegschaffen. Die Polizei würde
viel zu viele Fragen stellen". Die kühle in ihrer Stimme
lässt mir einen Schauer über den Rücken laufen.
Dann reist sie ihr Kleid in der Mitte ein und betrachtet ihre
Wunde. Da beginne auch ich wieder klar zu denken. "Ich rufe
den Notarzt." Doch ein entschiedenes "Nein!" von
Joanna hält mich zurück. "Hol einfach den Verbandskasten
aus dem Wagen. Es ist nur ein Streifschuss. Beim Militär
hast du doch sicher gelernt, wie man so etwas behandelt. Niemand
darf hiervon je etwas erfahren." Ich nicke stumm und mache
mich auf dem Weg zum Auto.
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Dann wendet Joanna sich an meine Schwester, die immer noch weinend
in der Ecke hockt. "Ewa, ich weiß, wie hart das für
dich sein muss, aber du musst mir helfen. Hol mir bitte ein neues
Kleid. Etwas einfaches weißes. Du würdest mir damit
einen riesigen Gefallen bereiten." Ewa nickt benommen und
macht sich dann ebenfalls auf den Weg. Ich schätze, sie ist
einfach nur froh aus diesem Raum verschwinden zu können.
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Als nächstes greift Joanna zu ihrem Handy und wählt
eine Nummer, die sie von ihrer Chefin, nein, ihrer Großmutter,
Donna Justyna, erhalten hat. "Wir haben hier zwei Gäste,
die nicht mehr nach Hause können. Beeilt euch. Niemand darf
merken, dass sie hier waren." Der Mann am anderen Ende der
Leitung hat genau verstanden.
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Sie legt auf und geht langsam auf Darek zu, der schweigend, wie
zu Beginn dieses verhängnisvollen Familientreffens, unverändert
auf seinem Stuhl sitzt. "Paps, ich werde heute noch heiraten."
Darek nickt ihr zu. "Das habe ich mir schon gedacht, als
du Ewa losgeschickt hast. Komm ich helfe dir, deine Frisur wieder
in Ordnung zu bringen."
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Sie lächelt ihm dankbar zu und beide gehen hinüber zur
Frisierkommode und wiederholen die Prozedur, wie sie es schon
vor einer Stunde getan haben. Sie lassen sich auch nicht stören,
als zwei Männer den Raum betreten und die Leichen meiner
Eltern aus dem Zimmer schaffen.
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Als die Musik der Orgel ertönt, schreitet Joanna den Gang
der Kirche entlang, mit mir an ihrer Seite. Ihr strahlendes Lächeln
lässt nicht erahnen, welches Drama sich noch vor einigen
Minuten ereignet hat. Nur der ganz aufmerksame Beobachter hätte
vielleicht an den Blicken von Ewa, Darek und mir gemerkt, dass
nicht alles so schön ist, wie es scheint.
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Schließlich geben Joanna und Tobias sich das Ja-Wort. Und
auch ich muss gestehen, dass es ein wunderbarer Moment ist, selbst
wenn ich nun diesen verfluchten Tobias zum Schwiegersohn habe.
Ich hoffe, Gott verzeiht mir diesen Gedanken in der Kirche.
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Die Feier danach fällt etwas kurz aus. Darek, Ewa und ich
lassen uns kaum blicken und auch Joanna und Tobias verschwinden
relativ früh. Ich bin gespannt, wie sie ihm die Wunde an
ihrem Bauch erklärt. Doch erfahren werde ich es wahrscheinlich
nie.
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Aber immerhin amüsiert sich der Rest der Gäste köstlich.
Auch ohne die Brauteltern und das Brautpaar selbst haben alle
ihren Spaß.
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