Aufgabe 23
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Das ist es also. Ewa will sich an unserer Mutter rächen. Aber was habe ich damit zu tun? Es bleibt mir aber keine Zeit weiter darüber nachzudenken. Ewa zieht sich schnell um und dann mache ich mich mit meiner neuen Schwester auf den Weg zur Kirche. Die Trauung wird bald beginnen.
 

Als ich vorsichtig die Tür zu dem Raum öffne, in dem Joanna sich umzieht, verschlägt es mir fast die Sprache. Sie ist wunderschön in ihrem langen, weißen Kleid und dem Schleier. Ich bin stolz darauf, mich der Vater einer solch schönen Tochter nennen zu dürfen. 
 

Als ich Joanna und Darek Ewa als meine Schwester vorstelle, sind beide natürlich überrascht, aber es bleibt mir keine Zeit für Erklärungen, denn plötzlich öffnet sich die Tür und mein Vater kommt herein. Doch noch bevor ich ihm Vorwürfe deswegen machen kann, dass er mich jahrelang belogen hat, betritt eine weitere Person den Raum: Meine Mutter!
 

"Hallo, Arkadiusz", begrüßt sie mich lächelnd. "Und da ist ja auch meine Tochter". Schlagartig verschwindet das Lächeln von ihren Lippen. "Du hast für sehr viel Aufregung gesorgt Liebes. Das hat mich nicht erfreut. Nicht im Geringsten. Und du kannst dir sicher sein, dass dein Handeln ein Nachspiel haben wird." Ihre Stimme klingt gefährlich kalt.
 

Doch sie wird von meinem Vater unterbrochen. "Du wirst nichts unternehmen, Justyna. Haben wir uns verstanden? Ich habe dir erlaubt, dich in das Leben unseres Sohnes einzumischen, doch von Ewa lässt du deine Finger!" Mein Vater erntet mit diesem Einwand einen wütenden Blick von meiner Mutter. Sie ist es nicht gewohnt, dass man ihr offen widerspricht.
 

Doch bevor sie angemessen reagieren kann, melde ich mich zu Wort. "Was soll das heißen, du hast ihr erlaubt sich in mein Leben einzumischen. Padre? Mutter?" Ich blicke auffordernd vom einen zum anderen. "Los, Justyna! Erklär unserem Sohn, was du die letzten Jahre getrieben hast!"
 

Der Tonfall meines Vaters sagt meiner Mutter keineswegs zu, doch schließlich stellt sie mir eine Gegenfrage. "Wo stehst du heute, Arek?" Noch bevor ich antworten kann, übernimmt sie das für mich. "Du beherrscht die Unterwelt von SimCity. Zumindest fast. Aber mit nur ein bisschen mehr Ehrgeiz könnte die Stadt dir gehören, mein Sohn. Und wem hast du das zu verdanken? Mir, Arek! Mir! Ich habe seit deiner Ankunft hier in SimCity dafür gesorgt, dass du in dieser Stadt Fuß fassen kannst. Ich habe dafür gesorgt, dass man dich respektiert, dich fürchtet! Und jedes Mal, wenn du schwach wurdest, wenn du dich von der Organisation, von allem was ich für dich aufgebaut habe, abwenden wolltest, habe ich dich zurückgeführt. Und dafür solltest du mir danken. Was wärst du ohne mich, Arek? Ein Niemand!"
 

Ich kann kaum glauben, was ich da höre. "Dir habe ich das alles also zu verdanken? Siehst du nicht, dass mich das kaputt macht?" Ich versuche ruhig zu bleiben, doch es gelingt mir nicht und schließlich brülle ich meine Mutter an. "Ich ertrage diesen scheiß Job doch nur, wenn ich meine Gefühle mit Alkohol betäube. Diese verdammte Angst von der Polizei geschnappt zu werden, immer mit dem schlechten Gewissen leben zu müssen, Nacht für Nacht aufs Neue das Gesetz zu brechen. Und dafür soll ich dir danken? Ohne dich könnte ich so viel glücklicher sein. Hier in SimCity, mit Darek, den Kindern, mit einem ehrlichen Job. Ohne dich könnte mein Leben so viel besser sein."
 

Was mir nicht gelingen wollte, gelingt meiner Mutter ganz leicht. Sie bleibt gelassen, als ob jedes meiner Worte an einem unsichtbaren Schutzschirm abgeprallt wäre. "Nichts hättest du ohne mich Arek. Gar nichts." Sie lächelt mich überlegen an. "Nur mir hast du es zu verdanken, dass du nach SimCity gekommen bist. Ja Arek, ich habe dafür gesorgt, dass du in diese Stadt kamst. Es gab nie ein Zeugenschutzprogramm. Ich habe unsere Flucht von Kuba veranlasst, damit du nicht wie ein reicher, verzogener Bengel in einer Villa aufwächst. In Warschau habe ich dafür gesorgt, dass du ungestört dealen konntest um Erfahrung zu sammeln. Doch als ich gesehen habe, dass du zu überheblich wurdest, musste ich dir einen Dämpfer versetzen. Die Polizei hat dich nur erwischt, weil ich es so wollte. Die drei Jahre im Knast sollten dich immer daran erinnern, dass du vorsichtig sein musst, immer auf der Hut vor dem Gesetz."
 

"Das kann doch nicht wahr sein, Mutter!", schreie ich sie an. "Weißt du überhaupt, was du mir damit angetan hast? Diese drei Jahre waren die schlimmsten drei Jahre in meinem Leben. Ich wäre in diesem Loch zugrundegegangen, wenn das Schicksal mir Darek nicht geschickt hätte." Doch auch das scheint meine Mutter nicht zu beeindrucken. "Nicht das Schicksal, Arek", schüttelt sie kichernd den Kopf. "Ich!" Ich starre sie ungläubig an und auch auf Dareks Gesicht zeichnet sich die Verwirrung ab. Doch meine Mutter sorgt schnell für Klarheit. "Ich habe durchaus gemerkt, dass du mit dem Gefängnis schlechter zurechtkamst, als ich mir erhofft hatte. Und was wäre ich für eine Mutter, wenn ich nicht etwas unternommen hätte. Also habe ich dafür gesorgt, dass er in deine Zelle eingewiesen wurde."
 

Sie geht ein paar Schritte auf Darek zu und blickt herabwürdigend auf ihn hinunter. "Er war schwach und erbärmlich. Nicht einmal dazu im Stande, eine kleine Gaunerei durchzuziehen, ohne erwischt zu werden. Ich wollte, dass du jemanden hast, an dem du deine Überlegenheit ausleben konntest, jemanden den du beherrscht und erniedrigen konntest, um deinem Frust freien Lauf zu lassen."
 

Man kann die Begeisterung in ihren Worten förmlich spüren. "Und es hat geklappt", lacht sie. "Vielleicht anders, als ich es geplant hatte, aber Dariusz Zaskurski hat seine Aufgabe wunderbar erfüllt. Du hast dich wieder gefangen und konntest dich im Gefängnis behaupten, so wie ich es mir von Anfang an vorgestellt hatte."
 

Wieder sieht sie Darek mit Verachtung an. "Um ihn wollte ich mich dann später kümmern, aber das war gar nicht nötig gewesen. Er hatte nie die Kraft, dich von deiner Berufung fernzuhalten. Und so wie es aussieht, wird er in Zukunft auch keine Gelegenheit mehr dazu haben." Auf ihren Lippen erscheint ein teuflisches Grinsen. Am liebsten möchte ich ihr für diese Bemerkung an den Hals springen, auch wenn sie meine Mutter ist. Doch Ewa hält mich am Ärmel fest und verhindert so, dass es zu einer körperlichen Auseinandersetzung kommt.
 

"Ganz anders sah es mit Lucy aus. In ihr habe ich ein Feuer gespürt. Sie hätte eine Bedrohung für meine Pläne werden können und deshalb musste sie von der Bildfläche verschwinden. Zu ihrem eigenen Glück musste ich nur wenig Überzeugungsarbeit leisten um sie loszuwerden. Immerhin hat sie mir einen Enkel geschenkt, denn von den beiden Mädchen, die zwar meinen Namen trugen, habe ich nicht viel gehalten. Das waren keine Brodlowskis."
 

Und dann sieht sie plötzlich Joanna an, die bis dahin schweigend das Gespräch verfolgt hat. "Doch ich habe mich geirrt und es bedeutet schon etwas, wenn ich das so offen zugebe. In einem dieser Mädchen steckte nämlich der Geist, den ich nicht zu finden gehofft habe." Sie geht auf Joanna zu und streichelt ihr Gesicht. "Sie hat sich als eine fähige Mitarbeiterin entpuppt. Sie hat all meine Erwartungen bei weitem übertroffen. In ihr sehe ich das, was ich früher in dir gesehen habe, mein Sohn. Und ich hoffe ich werde es bald erneut in dir erkennen, Arek."
 

Sie kommt langsam auf mich zu, schaut mir tief in die Augen und versucht ebenfalls mein Gesicht zu streicheln, doch ich stoße ihre Hände von mir weg. "Warum, Mutter?", frage ich und meine Stimme bebt vor unterdrückter Wut. "Warum hast du das alles getan?" Langsam wendet sie sich von mir ab und kehrt an die Seite meines Vaters zurück.
 

Ihre Stimme wird ernst, als sie antwortet. "Alles, Arek, alles was ich getan habe, was ich immer noch tue, dient nur einem Zweck: Das kapitalistische Krebsgeschwür, dass die Welt fest in seinem Griff gefangen hält, zu bekämpfen." Kapitalistisches Krebsgeschwür? Wovon zum Teufel redet meine Mutter da? Meine Verwirrung muss deutlich erkennbar sein, denn meine Mutter fährt nach einer kurzen Atempause mit ihren Erklärungen fort.
 

"Der Sozialismus, Arek, die Gleichstellung aller Menschen, ist das, wofür ich kämpfe. Diesem Kampf habe ich mein Leben gewidmet. Warum sonst hätte ich mich dem Geheimdienst unserer großartigen Volksregierung anschließen sollen? Warum sonst, hätte ich mit deinem Vater ein Drogenimperium aufgebaut? Drogen zerstören deinen Geist, deinen Verstand, sie nehmen dir die letzte Würde. Und diese reichen Idioten reißen sie uns aus den Händen. Wir brechen in ihre Häuser ein, nehmen ihnen das, was sie am meisten lieben, ihr Geld, ihr Vermögen. Wir sorgen dafür, dass sie sich niemals sicher fühlen können in ihren kapitalistischen Trotzburgen. Es mag so aussehen, als ob der Sozialismus für immer von der politischen Bildfläche verschwunden wäre, doch solch eine wunderbare Idee wird sich durchsetzen. Sie muss sich durchsetzen und unsere Arbeit hilft dabei. Siehst du es denn nicht, mein Sohn?"
 

Ihre Augen beginnen zu leuchten und ein irrer Ausdruck erscheint für den Bruchteil einer Sekunde auf ihrem Gesicht. "Du bist verrückt Mutter!", platzt es da aus mir heraus. Wenn Blicke töten könnten, dann wäre es um mich geschehen. Meine Mutter beginnt am ganzen Körper zu zittern und ringt darum ihre Fassung wiederzugewinnen. Doch diesmal scheitert sie.
 

 

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kor. 14.02.2011