Aufgabe 16

 

Orion tänzelt vor Aufregung auf den Balkon hin und her. "Als ich aufwachte war ich auf einem großen Raumschiff und konnte einen wunderschönen grünen Planeten sehen der um eine riesige blaue Sonne kreiste, Beta Ori oder Auch Riegel. Es ist der sechsthellste Stern am Himmel. So etwas aus der Nähe zu sehen ist unglaublich. Und der grüne Planet schien zum Greifen nah. Ich konnte Ozeane und Wolken erkennen. Am liebsten wäre ich hinunter gegangen. Aber allein das alles zu sehen war unglaublich. Und dann bin ich wieder in unserem Garten aufgewacht. Ich wollte es allen erzählen, doch keiner glaubte mir. Sie wollten mich sogar zum Psychater schicken, als hab ich nicht mehr davon gesprochen. Aber ich war dort. Und ich glaube, dass die Außerirdisch noch einmal zu mir zurück kommen werden."
"Und eben dieser blaue Stern ist ein Stern im Sternbild des Orion. Es ist der Stern ganz unten rechts. Dieses Erlebnis ist wichtig für mich und du wars und bist auch wichtig für mich, kleiner Bruder. Deshalb habe ich dich Orion genannt. Beta Ori oder Riegel wäre doch ein wenig seltsam." Orion hört Joanna staunend zu bis sie fertig ist. "Danke Joa, für meinen Namen. Und ich werde ganz bestimmt nichts sagen, versprochen. Aber jetzt will ich selber nach den Außerirdischen suchen."
Und das tut er auch und bereits nach wenigen Abenden wird er von dem blauen Traktorstrahl erfasst und beginnt langsam nach oben zu schweben. "Ich wußte, dass sie wieder kommen würden. Ich hab es immer gewußt. Ich wünsche dir eine schöne Zeit, kleiner Bruder." Sie sieht zu, wie Orion langsam im Nachthimmel verschwindet und schaut ihm sehnsüchtig hinterher, denn am liebsten würde sie selbst mitkommen.
Und einige Stunden später erwacht Orion wieder auf dem Balkon neben dem Teleskop. Und nachdem er die anfängliche Benommenheit abgeschüttelt hat breitet sich ein zufriedenes Grinsen auf seinem Gesicht aus. Die Außerirdischen haben ihn geholt, kann es was besseres geben?
Sofort geht er in Joannas Zimmer und weckt sie auf. "Es war toll Joa! Ich habe alles gesehen, was du erzählt hast. Den grünen Planeten und die blaue Sonne. Und da waren ganz viele Raumschiffe, die um den Planeten kreisten. So etwas habe ich noch nie gesehen." "Du darfst aber Paps und Dad nichts sagen. Sie werden es nicht verstehen." Orion sieht sie enttäuscht an, aber er scheint zu verstehen. "Kann ich es den wenigstens Oxi sagen?", fragt er hoffnungsvoll und da kann Joanna einfach nicht nein sagen.
Und das läst er sich nicht zweimal sagen. Er hat zu viel erlebt um es einfach für sich zu behalten. Er weckt sie hastig auf und erzählt ihr alles was er gesehen hat. Oxana mustert skeptisch erst ihren Bruder und schaut dann vorwurfsvoll auf ihre Schwester, die nun auch im Zimmer ist. "Da hattest du ja ein Abenteuer kleiner Bruder. Aber sag Paps und Dad lieber nichts davon." "Ich weiß, Oxi, das hat Joa mir schon gesagt." Und dann hüpft er feudestrahlend aus ihrem Zimmer.
Als Orion weg ist, geht Oxana plötzlich auf ihre Schwester los. "Jojo, spinnst du jetzt total. Wie kannst du Orion einreden, dass er von Außerirdischen entfürt wurde. Der Knirps glaubt das alles doch. ich dacht du hättest endlich mit dem Alien-Blödsinn aufgehört. Wenn du so einen Scheiß erzählst, dann ist das deine Sache, aber Orion da mit hinein zu ziehen. Als echt!"
"Das ist kein Blödsinn, den ich Orion eingeredet habe!" Nach einem ersten Schock kann Joanna sich endlich wehren. "Er wurde von Außerirdischen entführt, genauso, wie ich damals. Glaub was du willst, aber es ändert nichts daran, dass es die Wahrheit ist. Was glaubst du denn, wo ich sonst gewesen sein soll damals. Ich war plötzlich weg und genau so plötzlich war ich wieder da." Oxana wird durch die Ernsthaftigkeit in Joannas Stimme doch stutzig und kommt ins Grübeln. Ist an der Geschichte etwa etwas wahres dran?
Und Joanna kann ihre Schwester tatsächlich dazu überreden, nach den Außerirdischen Ausschau zu halten. In ihrem innersten weiß Oxana, dass das alles nur Blödsinn ist, aber die klitzekleine Möglichkeit, dass es war sein könnte, reizt sie dann doch zu sehr. Außerdem kann sie auf diese Weise ihre Physiknote verbessern. Joanna hat noch ein zweites Teleskop besorgt und nun beobachten die beiden gemeinsam den Sternenhimmel.
Sie gucken mehrere Nächte hindurch und nichts geschieht. Oxana wird das ganze langsam zu doof. Sie starrt in den Himmel und hält nach einem Raumschiff ausschau, an das sie ohnehin nicht glaubt. Aber Joanna überredet sie doch weiter zu suchen und zur Abwechslung stellt sie eins der Teleskope auf die andere Hausseite, sodass Oxana andere Sternbilder beobachten kann.
Und während sie so den Sternenhimmel beobachtet, sieht sie plötzlich ein leuchtenden Punkt, der sich schnell bewegt. Sie versucht ihn mit dem Teleskop zu verfolgen, doch er ist zu schnell und sie verliert ihn aus den Augen. Und plötzlich merkt sie, dass es auf dem Balkon heller wird. Gerade als sie hoch sieht erfasst sie der blaue Traktorstrahl. Entsetzt reist sie die Arme hoch und versucht sich auf den Boden zu ducken, doch der Strahl zieht sie unweigerlich hoch, bis sie im Inneren eines Raumschiffs verschwindet.
Auch Joanna sieht das Raumschiff hoch über dem Haus schweben. "Sie haben Oxana geholt", sagt sie zu Orion, der ihr Geselschaft leistet. "Woher weißt du das denn?", fragt sie der Kleine. "Ich fühle es, sie ist nicht mehr hier. Ich weiß nicht, ob es eine besondere Verbindung zwischen Zwillingen gibt, aber ich fühle ganz deutlich, dass sie weit weg ist. Ich kann es nicht erklären. Sie ist jetzt dort oben." Und bei diesen Worten zeigt sie in den Himmel und stößt einen leisen Säufzer aus. "Oben bei den Sternen."
Joanna verbring die Nacht auf dem Balkon und wartet darauf, dass ihre Schwester wieder zurückgebracht wird. Denn das sie zurückkehrt, daran hat sie keinen Zweifel. Und Oxana kehrt tatsächlich wie erwartet zurück, doch in der Zwischenzeit ist Joanna eingeschlafen. Oxana bleibt eine ganze Weile regungslos sitzen und versucht sich von dem Schock, den sie gerade erlebt hat einigermasen zu erholen.
Als sie wieder klar denken kann weckt sie hastig ihre Schwester. "Jojo, du hattest die ganze Zeit die Wahrheit gesagt. Ich hätte es nicht geglaubt, wenn sie nicht das Gleiche mit mir gemacht hätten. Es war wunderschön, das Schiff, die Planeten, die Sonne...ich kann es immer noch nicht fassen." "Ich habe es euch doch gesagt, aber ihr wolltet nicht hören. Ich hoffe, ich kann das alles noch einmal sehen irgendwann", entgegnet ihr Joanna. "Willst du es Paps und Dad sagen?", fragt sie ihre Schwester noch, doch die schüttelt nach kurzer Bedenkzeit den Kopf. "Nein, sie werden es mir ohnehin nicht glauben. Und das, was ich gesehen habe ist zu schön, um als Lüge abgetan zu werden."
Und so erfahren Darek und ich nichts von den Geschehnissen der letzten Zeit. Und Joanna hält weiter nach ihren Außerirdischen ausschau. Sie hofft und ihre Hoffnung wird erfüllt, als sie eines Abends ein wohlbekannter blauer Traktorstrahl erfasst und in die weiten des Weltraums führt.
Und von Joannas Verschwiinden erfahre ich auch eher zufällig. Ich suche sie, damit sie mir hilft, die Gartenzwerge zu bemalen. Ihr scheint es Spaß zu machen und ohne ihre Hilfe schaffe ich die Lieferung für morgen nicht. Ich suche das ganze Haus nach ihr ab, kann sie aber nirgends finden. Auch nicht bei ihrem Teleskop, von dem sie seit Tagen nicht mehr weggegangen ist. Als ich sie aber auch dort nicht finde, fange ich langsam an, mir Sorgen zu machen. Ich masiere mir mit meinen Daumen die Schläfen um die beginnenden Kopfschmerzen zu unterdrücken. Wo kann sie bloß sein und wer soll mir jetzt mit den Zwergen helfen?
Da es doch schon recht spät ist und Joanna immer bescheid sagt, bevor sie das Haus verlässt, gehe ich in die Küche zu Darek, der mit Oxana das Abendessen vorbereitet. "Darek, Joanna ist weg. Ich habe sie schon überall gesucht, aber sie ist niergendwo zu finden." Darek wirkt sofort besorgt. "Hast du denn wircklich überall gesucht?" Als ich zur Bestätigung nicke wird er noch beunruhigter. "Vielleicht sollten wir bei ihren Freunden anrufen oder gleich bei der Polizei? Was, wenn ihr etwas passiert ist?" Als Oxana das Wort Polizei hört, wird sie sichtlich nervös.
Das kommt mir sofort verdächtig vor. ich halte sie aufgerade, als sie sich aus der Küche verdrücken will. "Oxana, du weißt doch etwas. Wo ist deine Schwester." "Nein Dad, ich habe keine Ahnung ...", versucht sie sich herauszureden, doch ein ernster Blick von mir genügt um ihr Wissen schlagartig zu vergrößern. "Ihr werdet es ja ohnehin nicht glauben, wenn ich es euch sage". Als sie aber merkt, dass wir es trotzdem wissen wollen beginnt sie zu erzählen. "Joanna wurde von Außerirdischen entführt."
Ich kann mir ein lautes Lachen bei dieser lächerlichen Ausrede einfach nicht verkneifen. Doch Oxana tritt wütend auf. "Lach nicht Dad! Du wolltest die Wahrheit wissen und das ist sie. Außerirdische haben Joanna geholt, wie vor 8 Jahren. Ich wollte es selbst nicht glauben. Bis...bis ich selber von ihnen geholt wurde und Orion auch. Wenn du mir nicht glaubst dann geh auf den Balkon und warte auf sie. Sie wird vom Himmel fallen, du wirst es sehen." Und ohne ein weiteres Wort verlässt sie wütend die Küche und lässt uns verdutzt über diesen heftigen Ausbruch allein zurück.

 

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