Aufgabe 20
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Und noch in derselben Nacht steht plötzlich unerwünschter Besuch vor der Tür und es ist nicht Tobias. Es kommt nur selten vor, dass es ein Dieb wagt, in mein Haus einzubrechen. Unter Kollegen tut man so etwas nicht...meistens zumindest.


Doch dieser Dieb, hat es nicht auch unsere Wertsachen abgesehen. Die Alarmanlage ist für ihn kein Problem. Wäre sie für mich auch nicht, dass erstaunliche ist nur, dass dieser Kerl es nicht einmal nötig hat, sie zu umgehen. Er kennt einfach den Code. Und dann steuert er zielgerichtet auf die Stereoanlage im Wohnzimmer zu und befestigt eine Nachricht daran. Und so lautlos, wie er gekommen ist, verschwindet er danach wieder.


Joanna hat es sich zur Gewohnheit gemacht morgens immer Musik anzumachen und das tut sie auch heute. Und noch bevor sie die Anlage erreicht hat, sieht sie den Briefumschlag und stellt überrascht fest, dass ihr Name drauf steht. Vorsichtig öffnet sie den Brief.


Mehr steht in der handgeschriebenen Nachricht nicht. Doch die wenigen Worte reichen aus, um Joannas Interesse zu wecken.


Ganz tief in ihrem Inneren weiß Joanna, dass sie nicht gehen sollte, dass sie die Nachricht ignorieren oder Darek und mir zeigen sollte. Doch ihre Neugier ist zu groß. Sie möchte wissen, wer ihr diese Nachricht geschickt hat und vor allem, was der Absender von ihr möchte.


Die Fahrt in die Stadt dauert nur einige Minuten. Doch mit jedem Meter, mit dem sie dem "Green Man" näher kommt, beginnt ihr Herz schneller zu schlagen. Als sie schließlich am Ziel ist, kostet es sie einige Überwindung, das Lokal zu betreten.


Als sie den Pub betritt brauchen ihre Augen eine Weile, bis sie sich an das Dämmerlicht im Inneren gewöhnt haben. Das Lokal ist leer, zumindest fast. Es sitzt nur eine einzige Person an einem Tisch und Joanna nährt sich ihr langsam. "Setz dich, Joanna", sagt die Frau plötzlich. "Ich habe schon auf dich gewartet."


"Woher...woher kennen Sie mich?", fragt Joanna zurückhaltend. "Das spielt jetzt keine Rolle, Schätzchen", antwortet ihr die Frau schnell. "Wichtig ist, dass ich dich kenne." Sie macht eine kurze Pause und mustert Joanna dabei sehr aufmerksam, bis diese beschämt wegschaut. "Du brauchst dich nicht zu schämen. Du hast in den letzten Wochen gute Arbeit geleistet. Du hast meine Erwartungen sogar übertroffen...und das passiert selten."


Joannas Augen weiten sich vor Schrecken. "Was...was wissen Sie darüber, was ich in den letzten Wochen gemacht habe?", fragt sie stotternd. "Sie sind doch nicht etwa von der Polizei?", fügt sie heiser hinzu. Die Frau lacht bei diesen Worten schallend los. "Schätzchen, wo denkst du hin. Nein, ich bin ganz sicher nicht von der Polizei." Joanna atmet erleichtert auf, bleibt aber trotzdem noch angespannt. "Alles, was du in den letzten Wochen gemacht hast", fährt die Frau schließlich fort, "war von mir gebilligt, ja, von mir gewollt." "Aber ich dachte, dass Tobias das alles geplant hat". Die Verwirrung steht Joanna deutlich ins Gesicht geschrieben.


Sie taucht erst wieder aus ihren Gedanken auf, als eine junge Frau ihr einen Teller vorsetzt. Die unbekannte Frau beginnt zu essen und Joanna tut es ihr gleich. "Tobias hat die Überfälle und Übergaben ausgeführt...in meinem Auftrag ausgeführt." Joanna verschluckt sich fast an ihrem Essen, als sie hört, wie offen die Frau über kriminelle Aktivitäten, kriminelle Aktivitäten in die sie selbst verwickelt ist, spricht. Vor allem, weil die Bedienung immer noch nah genug am Tisch steht um jedes Wort verstehen zu können. "Tobias hat mir von dir erzählt und das hat mein Interesse geweckt. Du hast Talent, Joanna. Großes Talent. Es wäre eine Schande, es einfach verkommen zu lassen."


"Was wollen Sie damit andeuten?", fragt Joanna vorsichtig, doch in ihren Augen zeichnet sich bereits ein Glitzern ab, weil sie ahnt, was diese Frau ihr anbieten möchte. Und dieses Glitzern entgeht der Unbekannten nicht und sie lächelt zufrieden. "Ich will, dass du für mich arbeitest. Ich biete dir die Chance, von mir zu lernen. Nicht direkt von mir, zumindest nicht zu diesem Zeitpunkt, aber du würdest von den Besten lernen. Dir steht eine glänzende Zukunft bevor...allerdings eine Zukunft abseits des Rampenlichts", fügt sie ernst hinzu. "Das sollte dir immer bewusst sein. Wenn du dich für diesen Weg entscheidest, wirst du ständig im Halbdunkeln leben."


Ein Blick in Joannas Augen verrät ihr, dass sie verstanden hat. "Und noch etwas," die Unbekannt wird plötzlich sehr ernst und ihre Stimme erhält einen drohenden Unterton. "Ich will nicht, dass irgendjemand von unserer Vereinbarung erfährt. Nicht deine Väter, deine Freunde und auch nicht Tobias. Haben wir uns da verstanden!" Ein kalter Schauer durchfährt Joanna bei diesen Worten, doch schließlich nickt sie zögerlich. "Gut", lächelt die Frau und holt eine Visitenkarte aus ihrer Handtasche. "Nach außen wirst du eine Ausbildung zur Stewardess machen und das ist nicht ausschließlich Tarnung. Nebenbei wirst du für mich arbeiten. Dieser Job ermöglicht es dir unauffällig meine Aufträge auszuführen und zu lernen." Sie schiebt Joanna die Karte zu. "Melde dich in den nächsten Tagen bei dieser Adresse. Dort wird alles weitere geklärt."


Joanna steht auf, als die Frau sich erhebt. "Ich denke, es ist alles geklärt, Schätzchen. Und denke daran, kein Wort zu niemanden." Der plötzliche finstere Blick lässt Joanna nicht im Mindesten daran zweifeln, dass sie diese Warnung befolgen sollte. Die Frau ist bereits auf halben Weg zur Tür, als sie sich ein letztes Mal umdreht. "Sollte, dich Tobias in den nächsten Tagen um einen Gefallen bitten, dann hilf ihm ruhig. Was du außerhalb unserer Vereinbarung machst kümmert mich nicht." Und dann ist sie auch schon durch die Tür ins Freie entschwunden.


Joanna bleibt noch eine Weile im Pub sitzen und schaut sicher immer wieder die Visitenkarte an. Und jedes Mal zeigt sich ein breites Lächeln auf ihrem Gesicht. Sie beschließt nicht das Taxi zu nehmen, sondern zu Fuß nach Hause zu laufen. Und unterwegs trifft sie auf Tobias. Er ist vollkommen überrascht, als er plötzlich von seiner Freundin herumgerissen und feurig geküsst wird. "Hey, was ist denn in dich gefahren?", fragt er sie glücklich als er wieder zu Atem kommt. "Nichts besonderes, Tobi", antwortet sie überglücklich. "Heute ist einfach ein wundervoller Tag". Dann küsst sie ihn noch einmal zum Abschied und setzt den Heimweg weiter fort.


Als sie nach Hause kommt, sitz ich gerade mit Darek beim Essen. Und um ehrlich zu sein bin ich froh, dass sie dazukommt, denn so erspare ich mir eine weitere belanglose Unterhaltung mit Darek, bei der ich es nicht im Geringsten schaffe, ihm wieder näher zu kommen. "Ich wolltet doch wissen, was ich machen will, nachdem ich die Schule jetzt abgeschlossen habe", beginnt sie zu erzählen, während sie sich an den Tisch setzt. "Ich werde Stewardess."


"Stewardess?", frage ich überrascht und sehe zunächst Joanna und dann Darek verwundert an und er erwidert diesen Blick. "Du hast nie erwähnt, dass du Stewardess werden willst. Wie kommt das so plötzlich." "Ich hatte ein sehr interessantes Gespräch mit einer Frau in der Stadt", antwortet sie, nachdem sie zu Ende gekaut hat. "Dabei ist mir bewusst geworden, dass dieser Job genau das Richtige für mich ist. Das ist es, was ich schon immer machen wollte." Da wir beide die Begeisterung in ihrer Stimme hören können, reden wir ihr nicht in ihre Entscheidung hinein. Joanna ist schließlich alt genug, um selber über ihre Zukunft zu entscheiden.


Ich lasse mir Zeit beim Essen und genieße nebenbei ein Glas Cognac. Da kommt Orion ins Esszimmer gestürmt und will mir unbedingt einen Trick mit seinem Jojo vorführen. Eigentlich will ich jetzt lieber meine Ruhe haben, denn gleich muss ich wieder los zur Arbeit, aber ich sehe mir doch geduldig an, was der Kleine mir zeigen will.


Der Trick ist ja auch wirklich nicht schlecht, aber was ich jetzt brauche ist noch ein weiterer Schluck Cognac, bevor ich los muss. Deshalb lobe ich den Kleinen eher halbherzig und mache mich auf den Weg zur Bar. Dabei kann ich nicht Orions niedergeschlagenen Blick sehen und sein traurig gemurmeltes, "Aber ich wollte dir doch noch mehr Zeigen", hören.

 

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kor. 04.02.2011